Energiegewinnung am Rio Lombricese

In der heutigen Zeit, in der man gewohnt ist, dass Hilfsenergie promt und zuverlässig aus der Steckdose kommt oder man einfach flüssige Energieträger an der Tankstelle kaufen kann, ist es vielleicht gar nicht so schlecht mal hinzuschauen, wie mühsehlig die Leute früher Hilfsenergie gewonnen haben. Das Rio Lombricese Tal bietet dazu reichhaltige Möglichkeiten.

 

Wenn man früher abends vor die Haustür trat und den Blick geradeaus den Hang hinauflenkte, dann sah man sehr weit oben auf dem Berg  oberhalb des großen Hauses (il casone) ein Licht brennen. Das Licht war ein Dauerlicht und gehörte zum Wasserbecken (bacino), das durch die (bewanderbare) Wasserleitung gefüllt wird. Die Gegend um das Wasserbecken ist eine alte Alm und heißt Setriana. So findet man es auf den Wanderschildern. In der Karte wird das Wasserbecken mit La Polla (= die Quelle) bezeichnet

 

 

Fährt man in Richtung Camaiore am Casone vorbei schräg den Hang hinunter, trifft man unten im Tal auf die Talstraße. Man wendet sich scharf nach rechts, passiert die Riesenwerkzeuge des Schmiedes (aus der Familie Barsi, die schon früher verrückte Ideen hatte und den Pallone realisierten) und gleich öffnet sich links ein Parkplatz. Kurz vor dem Parkplatz befindet sich vor eine Mauer ein großer Wassertrog, der durch Frischwasser gespeist wird und in dem die Frauen von Lombrici noch bis vor 10-15 Jahren ihre  Wäsche gewaschen haben. Das Becken wird durch einen Oberwassergraben vom Rio Lombricese gespeist. Schaut man von diesem Ort (oder vom Parkplatz) in den Lombricese Kanal, dann steht dort ein mächtiges altes Mühlengebäude.

Kurz nach dem Parkplatz, an der Kirche von Lombrici vorbei geht links die Straße nach Metato ab. Unten auf der Talsohle steht die Olivenmühle, die schon seit hunderten von Jahren eine Mühle ist. Weiter die Talstraße entlang kommt rechts der beliebte Müllentsorgungsplatz mit Restmüll, Papier (Cartone), Plastik (Raccolta di Plastica) e Glas (Vietro). Etwas davor liegt ein paar Meter höher ein Betonanker, in dem ein Druckrohr, ca. DN250, mündet. Dreht man sich um, dann sieht man, hinter einem schon etwas verrotteten Betonzaun auf der anderen Straßenseite, die Dächer des Spitzenstromkraftwerks.

Wendet man sich bei der Mündung der Hangstraße in die Talstraße nach links, kommt man erst an der Einfahrt von Emilia e Bona (si manga bene ma troppo caro) vorbei und dann über die Brücke vom Rio Lombricese. Man ist in der Lokalität Candalla ; links kommt der Schmied mit seiner ferreria, dann eine Bar/Osteria (Osteria Candalla, nur im Sommer, nur abends, auch in einer alten Mühle), mehrere Häuser mit Wassergräben (also ehemalige Mühlen) und dann endet die Straße an einem  schönen alten Mühlengebäude. Der Weg geht als Fußweg, mit einer Brücke über den Rio, weiter. Im Sommer trifft sich dort die einheimische Jugend mit ihren motorinos; von da geht es nämlich zu Fuß zu weiter oben liegenden Badekolken. Unter der Brücke befinden sich mehrere Stahlrohre, wovon sicherlich eins oder zwei der Trinkwasserversorgung dienen. Im Mühlegebäude kann man noch Reste von verrottete Holzzahnrädern sehen.

Geht man das Tal weiter hoch, stößt man auf weitere Mühlengebäude und Wassergrabenreste aus verschiedenen Zeiten.

Man sieht, der Rio Lombricese wurde schon seit langer Zeit und wird immer noch, zur Energiegewinnung genutzt. Anlass eigentlich, mal ein paar wichtige Stationen zusammenzufassen.

Ich glaube, man kann 3 Perioden unterscheiden. Da ist die vorindustrielle: eine Mühle jagt die andere. Außer menschlicher und tierischer Arbeitskraft bleibt in windarmen Gegenden nur die Wasserkraft. Der Rio Lombricese ist recht steil und führt die meiste Zeit des Jahres genug Wasser (im Sommer recht wenig, daran ist aber auch das Spitzenstromkraftwerk schuld). 

Jede Mühle konnte nur ein bestimmtes Handwerk (Mehl, Olivenöl, Schmied, Flachs, Schießpulver, Schmiede) und nur so viel verarbeiten, wie das Mühlrad an Energie hergab. Deshalb wiederholten sich die Mühlen sicherlich. Das große Gebäude, welches weiter hinten im Tal steht, war wohl eine Nudelfabrik (falls ich mich recht an ein Schild erinnere). Also Arbeit jeweils für zwei bis maximal fünf Personen pro Mühle. Je nach Wassermenge und Jahreszeit.

Im Prinzip sind Mühlräder eine robuste Technik, wenn der Lombricese nicht so unberechenbar wäre. Es gibt nämlich vor allem im Herbst Wetterlagen, da kommen Gewitter übers Meer, die sich in den Bergen von Camaiore abregnen können und, wenn es schlecht kommt, bis zu 20 cm Wasser pro Quadratmeter innerhalb weniger Stunden bringen. Dann wird der Lombricese zu einem reißenden Strom mit 100 bis 1000 mal mehr Wasser als sonst. Wehr kaputt, Graben beschädigt etc.

Deshalb war es wohl mit der Einführung der Dampfmaschine nicht mehr rentabel die Mühlen oberhalb der Brücke zu betreiben. Man musste ja auch das Mahlgut mit Lasttieren erst zur Mühle bringen und das Erzeugnis auf gleicher Weise wieder weg.

Es gibt ein schönes Buch: Gli opifici del torrente Lombricese e del fiume di Camaiore, in dem alle Mühlen gelistet sind. Das Folgende kommt aus diesem Buch.

 

 

 

1. Pulvermühe und Pistolenfabrik Pardini
(Ein aktuelles Foto sieht man unterhalb dieser Karte)
2. Pulvermühle Lari

3. Schmiede und Pulvermühle Del Felciaio

4. /5. Pulvermühle della Grotta Orbaia

6. Mühle del Ponte della Penna, am Weg von Casoli nach Metato gelegen

7./8. Olivenmühle und Mühle al Fiume

9. Mühle und Pulvermühle del Folle

10./11. Mühle und Olivenmühle Pardini

12. Mühle Moriconi

13. Mühle und Pulvermühle Benedetti

14. Olivenmühle Benedetti

15.Mühle Molinaccio

16. Nudelfabrik Bertagna. Diese Gebäude ist deshalb noch so gut erhalten, weil es bis 1903 in Betrieb war (siehe Foto oben),

 

 

 

17A/B. Mühle von Candalla (siehe Foto oben)

18. Mühle der Romanini, heute "Osteria Candalla"

19. Schmiede (Ferreria) Ceru - Barsi, heute: Ferreria Bars

20/21. Mühle und Olivenmühle der Grottecellis, heute: Ristorante Emilia e Bona

22/23/24. Mühle, Olivenmühle und Nudelfabrik, unterschiedliche Zeiten, unterschiedliche Namen, je nach Besitzer. Das muss das Gebäude sein, dass man vom Parkplatz aus sieht (siehe Foto oben)

25A/B Mühle Marotti und Olivenmühle Marotti, heute: Frantoio Bertola. Hier lassen wir unser Olivenöl machen. An der Straße nach Metato.

26/27. Mühle und Olivenmühle der Intaschi. heute: Wohnhäuser

28/29 Mühle und Olivenmühle  All'Aranco; heute: Wöhnhäuser

30. Mühle der Moniconi; heute Wohnhaus

31. Olivenmühle der Romboni; heue: Wohnhaus

32: Olivenmühle der Simonetti, heute Wohnhaus

33/34/35. Mühle , Olivenmühle und Reisschälfabrik. Heute: Ferienwohnungen La Brilla- La Bianca

36/37 Mühle und Olivenmühle der Fiorentini, heute: Wohnhäuser

38/39 Mühle und Olivenmühle der Borbonen. Heute: Wohnhäuser; könnte das Caffe Centrale sein

40/41 Mühle und Olivenmühle  Ponte di Vado, verlassen, aufgegeben

 

Der Olivenverarbeitungprozess besteht im Kern aus Mahlen (Kollergang), Rühren, Pressen und Trennen. Das Trennen von Wasser und Öl wurde früher einfach durch Stehenlassen und Absetzen des Wassers durchgeführt.

 

Das Pessen wurde mit Gewindestempeln aus Holz gemacht, wobei der Stempel von Menschen gedreht wurde. Weil das sehr langsam ging, gab es pro Mühle mehrer Stempel.

 

Die Wasserkraft benutze man zum Rühren und zum Mahlen. 8 und 9 bezeichnet das Rührwerk, 7 und 6 den Kollergang.

 

Häufig findet man Mehlmühlen und Olivenmühlen an einem Ort. Wahrscheinlich machte die gleiche Mannschaft im November und Dezember Olivenöl und den Rest des Jahres Mehl. Das Wasser wurde je nach Bedarf auf das eine oder das andere Rad geleitet. Den Stillstand immer der einen Mühle konnte man für dessen Wartung bzw. zur Instandhaltung verwenden. Viele der hölzernen Umlenkräder etc. hielten wohl nicht lange. Die Geschwindigkeit war gering, aber die Kräfte hoch.

 

 

Dies ist eine typische Mehlmühle mit einem untypischen Mühlrad. Im Allgemeinen standen die Mühlräder senkrecht.

 

Der leichte Mahlstein 6 wurde auf dem festen Mahlstein 5 gedreht. Das Korn kam in den Trischter 8. Das Mehl kam an den Seiten der Mahlsteine heraus und blieb im Kasten7 (der natürlich geschlossen war).

Der Trick ist der Trichter, der unterm Kasten 8 hängt. Diese hat eine Stütze, die auf dem obern Schleifstein schleift und somit immer etwas gerüttelt wird. Damit kam immer etwas Korn aus dem Trichter und fiel in das Loch des oberen Schleifsteins. Das ganzu mußte so eingestellt sein, dass gerade so viel Korn nachrutschte, wie gemahlen wurde.

 

Für eine Trichterfüllung lief das Ganze automatisch. Eine Füllung dauerte ca. 2 h. Die Mühle lief 24 h am Tag, d.h. auch in der Nacht musste alle 2 h aufgestanden und nachgefüllt werden.

Dann musste man auch noch das Mehl entnehmen, wobei viele Mühlen noch an dem Kasten Auslässe ins darunter liegen Stockwerk hatten, an dem die Mehlsäcke hingen. Auch gab es häufig noch Rüttelvorrichtungen zum Mehltransport.

Ein Heidenlärm. Und das Tag und Nacht.

 

Salpeter und Holzkohle kann man nicht mit einem Mahlstein mahlen, das verschmiert und verklummt. Diese Materialien musste man zerstoßen.

Es wurden dicke Balken angehoben, die dann in einen Trog fielen und so das Mahlgut zermalmten.

 

So schön und groß waren die Pulvermühlen am Rio Lambricese allerdings nicht. Es fällt auf, dass diese Mühlen hauptsächlich am Oberlauf standen. Wahrscheinlich wegen des Transports: Salpeter und Kohle waren keine  Massenproduktion. Ich kann mir  vorstellen, dass diese Mühlen auch nur angeworfen wurden, wenn Aufträge und Material da waren.  

 

Diese schöne Zeichnung soll den Hammerantrieb der Ferreria Barsi darstellen. Der Hammer befand sich dann links und wurde nicht dargestellt.

Aber nicht jede Ferreria hatte einen großen Hammer. Hauptzweck des Wassers war, die Blasebalken des Schmiedefeuers anzutreiben. Denn damals wurde alles warm umgeformt: Hufeisen, Nagelschmiede, Nieten (zum Verbinden) und Werkzeuge. Das meiste mit dem Schmiedehammer per Hand. Ab 40 waren die Männer taub.

 

Gewehrläufe oder Pistolenläufe wurden aus einem Stahlband spiralförmig um einen Dorn geschmiedet und dabei verschweißt. Danach musste innen natürlich sauber und glatt gebohrt werden usw.

Im Jahr 1900 wurde die Sticheisenbahn Camaiore-Viareggio in Betrieb genommen. Damit hatte Camaiore Zugang zur Eisenbahnstrecke in Viareggio und somit Zugang zum überregionalen Handel. Trotzdem blieben sicherlich die leicht zu betreibenden  und hochwassersichere Mühlen in Betrieb aber sicherlich zunehmend unrentabel, so dass ab Ende des 19ten Jahrhunderts die Mühlenbetriebe zunehmend geschlossen wurden.

 

Geht man den Talweg immer weiter an der Nudelfabrik vorbei, kommt man bald an ein kleines Häuschen, dass im Gegensatz zu den alten Gebäuden aus Ziegelsteinen errichtet ist. Bei genauer Betrachtung sieht man, dass es auf einem in Beton ausgeführten Graben steht, ein Grabenhäuschen/Siebhäuschen in dem es ein Sieb gab, dass die Wasser im Graben vor Verunreinigungen schützen sollte. Moderne Technik?

 

Wendet man sich dem Rio zu, sieht man ein völlig überschwemmtes Betonwehr. Verfolgt man den Graben weiter (gar nicht so einfach, weil völlig verwildert) so steht man plötzlich vor einem schön gemauerten Tunneleingang mit der Jahreszahl 1898 und dem Schriftzug „Impresa Fancesco Garre“.  Der so abgezweigte Oberwassergraben verschwindet also im Berg. Das kann kein Mühlengraben sein, denn angenommen, der Graben ist einige hundert Meter lang, dann ist das Gefälle vielleicht schon 50 m hoch, d.h. nur geeignet für eine Turbine (oder zur Wasserversorgung)  und nicht für ein Mühlrad. Dies war die 2. Periode der Energienutzung am Rio Lombricese. Bei den Photos findet man einen Brief der Brüder Garre (aus Viageggio) an den Bürgermeister von Camaiore mit dem Antrag, ein Wasserkraftwerk am Rio Lombricese zu errichten.  

Geht man das Tal wieder runter an der Nudelfabrik vorbei geht rechts irgendwann der Weg nach Casoli ab. Dieser Weg war früher der einzige gute Zugang zu Casoli. Man geht ihn eine Stück hinauf und wenn man aufpasst, findet man die Stelle, an dem der Graben den Weg kreuzt. Folgt man dem Graben nun linkehand, kommt man an schöne Aquadukte, denen man aber nicht weiter folgen kann, weil sie selbst zu baufällig sind, als dass man es wagen sollte,  auf ihnen zu gehen und der Hang  ist zu steil. Das Ende des Grabens ist natürlich ein Siebhaus, welches man über Umwege erreichen kann und was wie ein Schwalbennest an der Steilwand klebt. Im Siebhaus gibt es ein Sieb und ein ca. 60 cm rundes Loch, in dem das Wasser abstürzte. Gewartet wurden die Siebe vom Graben her, was wegen der Baufälligkeit der Aquadukte nun nicht mehr geht.
Die Turbine war wahrscheinlich in dem Haus, das genau hinter dem Wasserfall, den man von der Brücke aus so gut fofogrfieren kann, steht. Jedenfalls wird es von anderen als centrale elettrica bezeichnet. Heute ist es ein Wohnhaus und nicht so einfach zugänglich. 

Es gab aber wahrscheinlich noch ein weiteres Kleinkraftwerk am Rio Lombricese. Geht man hinter Casoli rechts ab am Friedhof vorbei den Weg nach Metato, dann stößt man nach kurzer Zeit auf den Rio Lombirceses mit der Brücke und blickt auf ein altes Mühlengebäude. Schaut man rechts von der Brücke auf den rio seiht man ein Betonwehr und Reste eines Grabens. Den kann man noch etwas länger mit den Augen verfolgen, wenn man Richtung Friedhof geht. Dieser Graben ist aus Beton und oben abgedeckt, teilweise jetzt eingebrochen. Sehr schnell gewinnt er über demTalboden an Höhe und es wird klar, dass das kein Mühlengraben gewesen sein kann: zu hoch über der Talsohle! Das Messtischblatt zeigt ihn leicht blau coloriert unterhalb des Weges am Friedhof vorbei, er endet an der Zahl 377.0. Das Kraftwerksgebäude muss das Gebäude 494 unterhalb des Schriftzuges "Noceto" gewesen sein. Das Gebäude ist heute ein hübsches Wochenendhaus. 

Wenn man Wehr des unteren Kraftwerks weiter geht, den Rio Lombriceses überquert und dann den Weg weiter geht, trifft man nach ca. 1km auf das Gebäude. Schaut man ganau hin erkennt man noch Merkmale des ehemaligen Wasserkraftwerkes. 

Enel gibt es erst seit 1962; es muss also ein lokaler Energieanbieter gewesen sein, der Ende der 40iger Jahre die Wasserleitung, das Wasserbecken, die Druckleitung und das Spitzenkraftwerk am Rio Lombricese gebaut hat. Dazu wurde die Quelle des Rio Lombricese gefasst und in einen Betonkanal  geleitet. Die Quelle ist so stark, dass das zum Füllen des Kanals und letztendlich des bacinos, das als Wasserschloss für das Spitzenkraftwerk zwischen Vado und Lombrici dient, reicht. Zusätzlich zu der Quellfassung geht ein ca. 15 cm dickes Betonrohr am Hang weiter, auf dem man auch weitergehen kann (kein richtiger Weg, sehr steiler Abhang). Unter sich hört man öfter Wasser gluckern. Da wurde also noch eine zweite Quelle von weiter oben angezapft.

Man findet an einer Stelle, an der der Kanal durch eine Felsscharte verläuft ,eine "Gedenktafel" auf der man klar die Jahreszahl 1949 lesen kann. Möglicherweise die Gedenktafel für einen Arbeiter, der an dieser Stelle bei der Erstellung der Scharte umgekommen ist.

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© Martin Ricken